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Aktuelles

Rezensionen zu Janne Tellers Roman

Xenia Kannwischer

 

Die Frage nach dem Sinn des Lebens beschäftigt wohl jeden, aber vor allem Jugendliche, die kurz vor ihrer Abiturprüfung stehen und sich dementsprechend zwingend mit der großen Frage auseinandersetzen müssen: Was kommt nach der Schule?
Umso spannender war es, mit genau diesen Jugendlichen im Unterricht ein Werk zu lesen, in dem die kindlichen Protagonisten immer wieder nachdrücklich betonen, dass aus ihnen in Zukunft etwas werde, ohne jedoch zu wissen, was das genau bedeuten soll. Erst als ihr Mitschüler Pierre Anthon sie damit konfrontiert, dass im Leben nichts eine Bedeutung hätte, geraten die Protagonisten in eine verzweifelte Sinnsuche. Eine Antwort auf diese Suche finden sie nicht. Und auch die SchülerInnen der drei Deutschkurse bei Frau Plaggeborg, Frau Steinkamp und Frau Kannwischer müssen diese Antwort im Unterricht selbst entdecken. Das Buch bietet ihnen dabei keinerlei Hilfe an, es lässt sie eher mit noch mehr Fragen zurück. Erkenntnisse für das eigene Leben muss der Leser selbst suchen. Wie diese außergewöhnliche Lektüre bei den Jugendlichen ankam und ob sie sie weiterempfehlen würden, schrieben die SchülerInnen in Form von Rezensionen am Ende der Unterrichtsreihe nieder. Stellvertretend für alle drei Kurse können Sie sich anhand dreier dieser Rezensionen einen Eindruck über das Werk verschaffen. 

 

  

Rezension zu Janne Tellers „Nichts. Was im Leben wichtig ist“
von Desiree von Thenen

 

Sehr geehrte Teilnehmer/innen der Fachkonferenz Deutsch, 

mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie in Erwägung ziehen, den Roman „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ von Janne Teller zukünftig in der Oberstufe zu behandeln. Im Folgenden würde ich gerne meine Meinung über Gehalt und Einsatz des Romans in der Oberstufe kundgeben.

Das Buch beginnt mit den Worten des Siebtklässlers Pierre Anthon „Nichts bedeutet irgendetwas, das weiß ich seit Langem. Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun. Das habe ich gerade herausgefunden.“ Das zentrale Thema des Buches ist die Suche nach Bedeutung. Nachdem Pierre Anthon mit diesen Worten die Schule verlässt, sind sich seine geschockten Mitschüler einig, ihn vom Gegenteil überzeugen zu müssen. Somit kommt das Projekt ins Rollen und die Schüler/innen beginnen zunächst, Gegenstände im stillgelegten Sägewerk der Stadt zu sammeln. Anfangs sammeln sie Gegenstände aus verschiedenen Kategorien wie Dokumente, Religion, Mode, Hobbys etc. auf dem Berg der Bedeutung. Erst mit der Zeit werden die eingeforderten Opfergaben vor allem auch aus Rachemotiven extremer. So muss eine Schülerin ihre Unschuld opfern, eine andere den Sarg ihres toten Bruders oder einen Hundekopf. Das Projekt endet damit, dass dem ehemaligen Anführer der Klasse ein Körperteil abgeschnitten wird. Doch all diese Opfergaben, die für die Individuen eine subjektive Bedeutung haben, überzeugen Pierre Anthon nicht. Bei den Mitschülern staut sich so eine Wut darüber an, dass der Tod des Verursachers den einzigen Ausweg bietet. 

Als ich den Klappentext des Buches gelesen habe, war ich zunächst relativ euphorisch und gespannt darauf, das Buch zu lesen – das erste Mal, dass ich glaubte, mich könne eine Schullektüre wirklich fesseln! Das Gefühl nach dem ersten Lesen war jedoch ziemlich ernüchternd und enttäuschend. Denn Tellers Roman eröffnet keinerlei neue Fragestellungen über den Sinn des Lebens und liefert auch nicht den Ansatz einer Antwort. So bleibt die Identitätsfindung für die Jugendlichen – wie typisch für einen Adoleszenzroman – unabgeschlossen.

Auch der Erzählstil der Ich-Erzählerin Agnes, die retroperspektiv auf die Geschehnisse zurückblickt, lässt zu wünschen übrig. Zwar ist der Roman einfach und verständlich geschrieben, jedoch wird der Geschichte mit der Zeit der Charakter eines Berichtes verliehen und die häufig verwendeten Dreierkonstruktionen wie „Etwas. Viel. Bedeutung“, die zu Beginn noch interessant wirken, werden spätestens nach der Hälfte monoton und langweilig. 

Häufig wird auch kritisiert, dass der Roman total realitätsfern und verstörend sei. Dem kann ich allerdings nur bedingt zustimmen, da ein Roman in der Regel unterhalten und nicht die bloße Realität abbitten soll. Zwar nimmt die Handlung eine gewaltvolle Wendung, die vor allem in Hinblick auf das junge Alter der Protagonisten verstörend ist, dennoch bin ich der Meinung, dass man Schüler/innen der Oberstufe solch einen Inhalt durchaus zutrauen könnte.

Um zu einem Ende zu kommen, lässt sich sagen, dass man den Roman aufgrund der einfachen Schreibweise, Verständlichkeit sowie unkomplizierte Analyse prinzipiell durchaus in der Oberstufe thematisieren könnte. Dennoch erkenne ich persönlich keinen tiefgreifenden Mehrwert des Buches. Die Autorin konnte mich weder mit ihrem monotonen Schreibstil noch mit dem nur schwach ausgeführten Thema über Bedeutung und Sinn des Lebens überzeugen. Demnach würde ich empfehlen, Ihren Vorschlag, den Roman zukünftig in der Oberstufe einzusetzen, nochmals zu überdenken und sich nach anderen, geeigneteren Büchern/Adoleszenzromanen umzuhören. 

Mit freundlichen Grüßen

Desiree von Thenen

 

 

Rezension: „Nichts“- Janne Teller
Eine Grauzone zwischen Fiktion und Wirklichkeit
von Ines Kruse

 

„Nichts bedeutet irgendetwas“, würde man solch eine Aussage von einem Erwachsenen hören, würde jeder die Augen verdrehen und davon ausgehen, dass diese Person einfach einen schlechten Tag hat. Doch was ist, wenn ein Kind sagen würde, dass das Leben sinnlos sei und davon auch vollkommen überzeugt ist? Würde man dann nicht versuchen es vom Gegenteil zu überzeugen? Und genau damit hat sich Janne Teller in ihrem sehr umstrittenen Buch „Nichts“ beschäftigt, welches im Jahre 2000 erschienen ist.

Der Roman baut auf der Aussage des Schülers Pierre Anthon auf, dass „nichts eine Bedeutung hat“ und dabei ruft er großes Unverständnis, aber auch Unsicherheit bei seinen Mitschülern hervor. Mit zunehmender Risikobereitschaft und Hemmungslosigkeit beim Sammeln von bedeutungsvollen Gegenständen versuchen die Schüler Pierre Anthon vom Gegenteil zu überzeugen, während er weiterhin mit existenziellen Fragen um sich wirft. So wird durch Jan-Johans Opfer schnell eine moralische Grenze überschritten, bei der Erzählerin Agnes kommen zunehmend Zweifel auf und Sophie entwickelt immer stärkere psychopathische Züge. Geprägt von Gruppenzwang und Rache endet der Roman in einer Katastrophe.

Die Erzählerin Agnes führt den Leser 8 Jahre später rückblickend, als beteiligte Figur durch die Handlung. Besonders hierdurch fällt es dem Leser leicht, das Erzählte nachzuvollziehen: Er bekommt das Gefühl, die moralisch fragliche Entwicklung des Erwachsenwerdens der Jugendlichen unmittelbar beobachten zu können. Kindliche Kommentare, die nicht selten von einer umgangssprachlichen Wortwahl geprägt sind, wie „Halt den Mund […] Aus mir wird bestimmt etwas! Und ich werde weltberühmt!“ (S. 23) wirken dabei unterstützend und stellen den kindlichen Leichtsinn und die Naivität der Jugendlichen heraus.

Ausgehend von der Grausamkeit und Brutalität dieses Buches, ist es allerdings umstritten, ab welchem Alter das Buch angemessen ist. So können speziell junge Leser durch radikale und unmoralische Szenen verstört und negativ beeinflusst werden. Deshalb stellt sich auch häufig die Frage, zu welchem Zweck der Roman dient. Soll der Leser zum Nachdenken angeregt werden? Soll er einfach nur durch eine frei erfundene Geschichte unterhalten werden oder doch durch einen Roman, der sich in einer Grauzone von Realität und Wahnsinn bewegt, seine eigene Existenz hinterfragen, den Lebenssinn suchen und auf das wirklich wichtige im Leben aufmerksam gemacht werden? Diese Frage bleibt jedoch unbeantwortet, sodass jeder für sich selbst über den Gehalt dieses Romans urteilen muss.

„Nichts“ scheint auf den ersten Blick ein „einfach geschriebenes Buch“ zu sein, welches den Leser unterhalten soll. Allerdings wird der Leser beim zweiten Betrachten in eine Welt eingeführt, die durch existenzielle Fragen seine übliche Perspektive auf das Leben verändert und ihn nach der wahren Bedeutung suchen lässt.

 

 

Rezension zu Janne Tellers „Nichts“
von Julia Kathmann

 

Kontrovers, kritisch, problematisch – so fassen wohl die meisten Menschen den Roman „Nichts“ von Janne Teller auf. Besonders im Land des Geschehens stieß das Buch auf Abneigung und sorgte für Furore sowie hitzige Diskussionen. Trotz gelegentlicher Boykottierung schaffte das Buch voller philosophischer Existenzfragen, sich durchzusetzen und brachte es sogar so weit, Schülern zur Diskussion im Unterricht vorgesetzt zu werden. 

Mit den Worten „Nichts bedeutet etwas, deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun“ verabschiedet sich der Schüler Pierre Anthon aus seinem ehemaligen Leben und lässt eine bis ins Mark erschütterte Klasse zurück. Fortan verbringt er sein Leben hoch oben auf einem Pflaumenbaum, mit dessen Früchten und gezielten Worten er versucht, seine ehemaligen Mitschüler zur Vernunft zu bringen. Unterdessen versuchen diese – immerzu ein fast schon psychotisches Mantra nach der Bedeutung des Lebens im Hinterkopf – eben diese materiell in Form eines großen Berges festzuhalten, um den Querdenker zu überzeugen und sich selbst im eigenen Wahn zu bestätigen. 

Angefangen bei geschenkten wie auch gefundenen materiellen Dingen, wird den Schülern schnell bewusst, dass diese nicht der Bedeutung entsprechen, nach der diese suchen. Somit beginnt ein Teufelskreis aus Demütigung und Rache, in dem jeder etwas opfern muss, was diesem von großer Bedeutung ist und danach das nächste Opfer bestimmt. So werden aus einem Paar Schuhe oder Boxhandschuhen bald schon Dinge wie Jesus am Kreuz, ein Sarg mitsamt Leiche, ein abgetrennter Finger und sogar die Unschuld eines Mädchens, die unweigerlich abgegeben werden müssen. Der „Berg der Bedeutung“ stellt den Mittelpunkt des Denkens der Schüler dar. Die Tatsache, dass ihr Versuch vergebens war, begreifen die Schüler erst, als der Fall aufgedeckt wird und in den Medien sowie auf dem Kunstmarkt Aufsehen erregt. Aufgewühlt und in einem Wahn, der das Wesen der Schüler kontrolliert, muss schließlich auch Pierre Anthon sein Leben lassen. 

Dem Leser werden salopp existenzielle Fragen an den Kopf geworfen, die nicht einfach beim Lesen des Romans beantwortet werden können, vergleichbar mit Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“. Der schmale Grat zwischen Bedeutung und Bedeutungslosigkeit wie auch Recht und Unrecht ist nur schwer zu erkennen. Es werden Extremen aufgenommen, die den Leser zunächst abstoßen und verwirren, jedoch auch zum wirklichen Nachdenken animieren. Die Schüler verehren den errichteten Berg sowie den Gedanken an Bedeutung wie eine Gottheit, die man sonst nur aus altrömischen Sagen wie Vergils „Aeneis“ kennt, und krallen all ihre Hoffnungen an diese. Dadurch wirken ihre Entscheidungen wie Verzweiflungstaten und sie weisen blasphemische Züge auf. Bewusst wird immer wieder in den Raum gestellt, wie viel Wahrheit in Pierre Anthons Worten steckt. Diese Frage bleibt jedoch auch angesichts seines ambivalenten Charakters offen. Bei dem Versuch, all diese Fragen zu beantworten und einen Sinn zu schaffen, wird die Menschlichkeit im Ganzen außen vorgelassen, die wohl in Anbetracht der Situation am bedeutendsten zu sein scheint. 

Die ganze Geschichte wirkt zunächst sehr abstrakt und wenig realistisch. Demnach bestünde eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass diese Situation auch in der Realität vorzufinden ist, diese ist jedoch sehr gering und für den rationalen Menschen nicht denkbar. Demnach fungiert Janne Tellers Erzählung als Parabel für den sozialen Umgang und das Wesen des Menschen, welche zeigt, dass moralische Grenzen leicht überwunden werden können, wenn man einen priorisierten Glauben verfolgt. Der Leser wird zur Vorsicht und zum Nachdenken ermahnt, immer das schreckliche Ausmaß im Hinterkopf, welches die Aktion der Kinder angenommen hat. Bewusst möchte eine ähnliche oder gleiche Handlung vermieden werden, die ein solches Maß an Gruppenzwang und Wahn umfasst, ähnlich wie in Morton Rhues „Die Welle“. Genau wie John Boynes mit „Der Junge im gestreiften Pyjama“ hat die gnadenlose Autorin hier ein schockierendes Werk geschaffen, welches den Leser nach dem ersten Lesen stillschweigend einige Minuten nachdenken und das Gelesene verarbeiten lässt. 

Auch die Sprache trägt entscheidend zu dem präsentierten Gesamtbild bei. Die Ich-Erzählerin gibt Gedanken teilweise überaus kalt und unbesonnen wieder, wiederholt dabei bewusst oft explizite Gedanken, die auf den Leser zunächst unklar wirken, jedoch den eigens entwickelten Wahn weiter ausprägen, und revidiert viele Aussagen im Nachhinein oder definiert sie für sich neu. Beim Leser kommt die kindliche Ungewissheit und Unsicherheit bei gleichzeitiger Gleichgültigkeit und Nüchternheit an, was stets für ein Hinterfragen der Gesamtsituation sorgt und den Leser gleichzeitig nachdrücklich beeinflusst.

Dass das Buch so umstritten ist, mag auf den ersten Blick berechtigt sein und zu dem Schluss sollten alle kommen, die diesen Roman oberflächlich unter den Punkten Brutalität und Realitätsbezug betrachten. Wer es jedoch schafft, hinter die erste Fassade zu blicken, erkennt die psychologisch-kritische Fabel, die viel Raum zum Diskutieren und Interpretieren eröffnet. Das Entscheidende dabei ist die Grenze des eigenen Denkens und der eigenen moralischen Abgründe, die subjektiv gesetzt werden muss. Man findet eine emotionale Achterbahn vor, die besonders für Jugendliche ein wichtiges Element in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Wesen darstellen kann. Was auch immer für eine Emotion dieses Buch in einem hervorrufen mag – es ist ganz sicher nicht „nichts“. 

 

 

 

 

 

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